Bericht: Wahl 2021 zum Abgeordnetenhaus Berlin im Wahlkreis 2 Steglitz-Zehlendorf (Südende) – wo der Berliner Verfassungsgerichtshof über das Ziel hinausschießt
Bericht: Wahl 2021 zum Abgeordnetenhaus Berlin im Wahlkreis 2 Steglitz-Zehlendorf (Südende) – wo der Berliner Verfassungsgerichtshof über das Ziel hinausschießt

Bericht: Wahl 2021 zum Abgeordnetenhaus Berlin im Wahlkreis 2 Steglitz-Zehlendorf (Südende) – wo der Berliner Verfassungsgerichtshof über das Ziel hinausschießt

1. Fehler sind passiert, die nicht passieren sollten

Bereits am Wahltag erhielt ich Anrufe von Bürgern, dass etwas bei der Wahl im Argen liegt und in einem Wahllokal nicht die richtigen Wahlscheine ausgegeben wurden. Der eine Anrufer war ein SPD Mitglied, das an meiner Nominierung beteiligt war und deshalb sofort einschätzen konnte, dass das nicht stimmen konnte. Das andere war ein Wahlbürger, der mich im Wahlkampf am Infostand angesprochen hatte und mich gerne wählen wollte.

Sobald die Zahlen über den Wahlkreis veröffentlicht waren, zeigte sich in drei Wahllokalen eine ungewöhnlich hohe Zahl ungültiger Stimmen, aber eben auch nur dort. Im Wahllokal 6205 war es am deutlichsten in den Zahlen – von 448 abgegebenen Stimmen für die Erststimme waren 402 ungültig, gültig nur 46. Bei der Zweitstimme waren nur 4 ungültig, 444 waren gültig. Die Ungültigenquote bei den Zweitstimmen deutet darauf hin, dass dort alles normal verlief. In den anderen Wahllokalen lagen die Ungültigenzahlen zwischen 0 und 14 Stimmen (letzteres bei einem recht großen Wahllokal).

Unmittelbar nach der Wahl bat ich den Innensenator, den Fragen nachzugehen – mir erschien es am plausibelsten, in den Wahllokalen mit solchen Problemen eine Nachwahl zu veranlassen. Hand aufs Herz: falsche Wahlzettel gehen gar nicht und trotz Corona wäre es vertretbar gewesen, in Wahllokalen mit Andrang eine Wahlkabine mehr vorzusehen. Ich wurde darüber informiert, dass sich der Wahlvorstand sorgfältig mit der Lage befasst habe und zum Ergebnis gekommen sei, dass angesichts des großen Vorsprungs von 1307 Stimmen von keiner Mandatsrelevanz auszugehen sei.

2. Die Wahlbeteiligung war sehr hoch, es steht zu befürchten, dass sie bei der Wahlwiederholung deutlich geringer ausfällt

Dass die Wahl des Abgeordnetenhauses und der BVV auf den Wahltag des Bundestages gelegt worden war, hatte einen einfachen Grund: So wird erfahrungsgemäß die Wahlbeteiligung höher und das ist gut für die Demokratie. Der Bundestag wusste, dass am selben Tag der BMW-Marathon in Berlin (seit Jahren) geplant war, wollte aber diesen Termin unbedingt halten. Die Wahlperiode des Bundestags beträgt vier Jahre, die des Abgeordnetenhauses fünf Jahre, also gibt ohne vorgezogene Wahlen alle 20 Jahre die Möglichkeit eines Zusammenfallens der Wahltermine. Die hohe Wahlbeteiligung trat auch ein – es waren 79,4% gegenüber 70,7% fünf Jahre zuvor in meinem Wahlkreis. Landesweit wurde 1990 (auch eine gemeinsame Wahl mit dem Bundestag) 80,8% gemessen, 1995 68,6%, 1999 65,5%, 2001 68,1% (Wowereit löst Diepgen ab), 2006 nur noch 58,0%, 2011 leicht steigend 60,2%, 2016 66,9%, 2021 75,4%.

Da die Wahlbeteiligung so hoch war, höher als alle Wahlen seit 1990, ist die Grundannahme des Landesverfassungsgerichtshofs im Rahmen seiner ‘Eisberg-Theorie’, dass ganz viele Wähler abgehalten wurden, unzutreffend. Das gilt sicher für die Wahlkreise und Wahllokale, wo es zu keinen Wahlunterbrechungen kam, also niemand nach Hause ging oder gehen muste.

3. Welche Wahllokale waren betroffen?

Der Landesverfassungsgerichtshof geht erstaunlicherweise der Frage nicht nach. In seinem Urteil veröffentlicht er (auf S. 132) für meinen Wahlkreis

– fehlende Stimmzettel zur Erststimme   152

– falsche Stimmzettel zur Erststimme   786

– Unterbrechungen       0

– Wahlen nach 18 Uhr (Betroffene bei 5 Min)     27

– Zusammen   965

– Abstand Erst- und Zweitplatzierte 1307 (also 342 mehr, MK)

– Anzahl Nichtwählende 6391

Obwohl es dem Gerichtshof gerade nicht gelingt, Mandatsrelevanz nachzuweisen, behauptet er folgendes: Die Anzahl der Nichtwählenden ist mehr als doppelt so hoch wie die Differenz zwischen dem gewählten Bewerbenden und der ihm nachfolgenden Person. ‘Dies führt zum Schluss, dass die konkrete Möglichkeit (!, sic) einer Beeinflussung der Sitzverteilung besteht.’

Trotz hoher Wahlbeteiligung wird hier also die ‘Eisberg-Theorie’ angewendet und etwaige Nichtwähler auf den ganzen Wahlkreis bezogen angenommen. Das ist unzutreffend.

In drei Wahllokalen von 25 (bei Briefwahllokalen trat das nicht auf) gab es viele ungültige Stimmen. Das lässt auf falsche Stimmzettel schließen.

– Wahllokal 6205: 402 ungültige Stimmen, Ungültige bei der Zweitstimme 6, die normal verlief, also 396 Wählerinnen und Wähler, die gültig wählen wollten

– Wahllokal 6204: 307 ungültige Stimmen, Ungültige bei Zweitstimme 10, also 297, die gültig wählen wollten

– Wahllokal 6209: 99 ungültige Stimmen, 6 Ungültige bei Zweitstimme, also 93, die gültig wählen wollten.

Zählt man die drei Zahlen zusammen 396 + 297 + 93 = 786, also exakt die Zahl an falschen Stimmzettel, die der Gerichtshof sieht, in drei Wahllokalen.

Mögliche Nichtwählende in den drei Wahllokalen sind aber eben nicht 6400, sondern unter 800. 

Die höchste Wahlbeteiligung in Präsenzwahl in meinem Wahlkreis lag in einem Wahllokal ohne solche Fehler bei 44,5%. Im gesamten Wahlkreis gab es 50,7% Briefwähler und 28,7% Präsenzwähler – das hat viel mit Corona zu tun. Ähnliches oder sogar noch stärkere Konzentration auf die Briefwahlen gab es in anderen Bundesländern ebenfalls (wie z.B. in Rheinland Pfalz). In den drei Wahllokalen lag die reale Präsenzwahl bei 39,5%, bei 44,3% bzw. 35,9%. Der höchste vorfindbare Wert liegt also bei 10% der möglichen Nichtwähler, eher darunter. Nimmt man diese 10%, geht es um 80 Nichtwählende

4. Was passiert jetzt?

Wie Sie sehen, bin ich alles andere als überzeugt von den Rechenkünsten des Gerichtshofs. Es ist aber so, dass es vermutlich keine Rechtsmittel dagegen gibt. Es kann gut sein, dass das Bundesverfassungsgericht Beschwerden nicht annimmt, weil es befindet, dass es eine Landesangelegenheit ist. Also ist es sehr wahrscheinlich, dass die Wiederholungs-Wahlen am 12. Februar 2023 stattfinden. Ich werde versuchen, die vielen Wählerinnen und Wähler, die korrekt gewählt haben, davon zu überzeugen, erneut wählen zu gehen. Ich werbe um Ihr Vertrauen – zum dritten Mal seit 2016. Ich werde versuchen, auch die vielen Wahlhelferinnen und -helfer zu überzeugen, trotz des vielen Geschimpfes über die Wahl wieder an deren Organisation mitzuwirken. Es sind Fehler passiert, es geht besser – auch wenn das Landesverfassungsgericht deutlich über das Ziel hinausschießt.