von Peter Bofinger, Franziska Brantner, Sebastian Dullien, Gustav Horn, Matthias Kollatz-Ahnen, Lisa Paus, Angelica Schwall-Düren, Gesine Schwan, Axel Troost und Harald Wolf
Inhaltsverzeichnis
- Zeit für eine neue Strategie
- Schwerpunkte des Investitionsprogramms
- Finanzierung des Investitionsprogramms durch ein eigenständiges Budget der Eurozone
- Ein verlängerter und besserer Juncker-Plan
- Mobilisierung der kommunalen Ebene für Integration und Entwicklung
- Ein befristeter Investitionsschub durch Darlehensaufnahme der EU-Kommission
- Nationale Handlungsspielräume zum Weg aus der Krise erweitern – neue ‚goldene Regel‘
- Fazit und tabellarische Zusammenfassung
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1. Zeit für eine neue Strategie
Mit der Wahl von Emmanuel Macron konnte eine schwere Krise für Europa gerade noch einmal abgewendet werden.
Es wäre jedoch falsch, damit zur Tagesordnung zurückzugehen und an der bisherigen wirtschaftspolitischen Strategie für die Euro-Zone festzuhalten. Die von Deutschland seit Jahren propagierte und den anderen Ländern aufgezwungene Vorstellung, wonach mehr Wachstum und mehr Beschäftigung nur durch nationale Spar- und Reformanstrengungen erreicht werden könnten, ist ökonomisch und politisch gescheitert. Es ist der massiven Unterstützung der Europäischen Zentralbank zu verdanken, dass die Mitgliedstaaten vor dem brutalen Druck der Finanzmärkte geschützt wurden und durch die Niedrigzinspolitik wieder mehr fiskalischen Handlungsspielraum bekamen. Das hat die Grundlage für eine konjunkturelle Trendwende gelegt, die sich jedoch nicht ausreichend in einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage niedergeschlagen hat, wie die alarmierend hohen Werte der Jugendarbeitslosigkeit in vielen EU Mitgliedsländer zeigen. Der einzige Mitgliedstaat, dem weiterhin keine Atempause bei der Konsolidierung eingeräumt wurde, ist Griechenland. Dementsprechend schwach ist dort die wirtschaftliche Belebung ausgefallen.
Mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron bietet sich die Chance, für eine neue Strategie zur Rückgewinnung von Vollbeschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Sie muss darauf setzen, die Probleme der Euro-Zone nicht mehr im nationalen Alleingang, sondern gemeinschaftlich zu lösen. Als Grundlage hierfür schlagen wir ein europäisches Investitionsprogramm vor. Es soll über einen Zeitraum von 5 Jahren zu zusätzlichen Investitionen von 500 Mrd. führen, was jährlichen zusätzlichen Investitionen in Höhe von 1 % des Bruttoinlandsprodukts des Euroraums entspricht. Wenn die Bereitschaft der Staaten außerhalb der Euro-Zone vorhanden ist, ist eine Steigerung der Investitionsaktivität auch dort sinnvoll. Bei noch immer hohen unausgelasteten Kapazitäten und Zinsen an der Nullzinsgrenze ist davon auszugehen, dass der Multiplikator dieser Ausgaben auf das Bruttoinlandsprodukt deutlich über einem Wert von 1 liegen wird.
Unser Vorschlag sieht eine zeitlich befristete gemeinschaftliche Finanzierung von Investitionen vor, insbesondere über eine Verlängerung und Neuausrichtung des Juncker-Plans und die Schaffung eines eigenständigen Budgets für die Euro-Zone in Höhe von 30 Mrd. Euro pro Jahr. Zum anderen soll im Stabilitäts- und Wachstumspakt ein Spielraum für zusätzliche kreditfinanzierte öffentliche Investitionen in Höhe von einem halben Prozent des Bruttoinlandsprodukts eröffnet werden. Hierfür ist es sinnvoll – wie vom neuen französischen Staatspräsidenten Macron vorgeschlagen – die Kreditaufnahme in begrenztem Umfang durch die Einführung von Eurobonds zu vergemeinschaften. Solche gemeinsamen staatlichen Anleihen sind sinnvoll, weil sie das Zinsniveau auch für wirtschaftlich schwächere Länder stabil halten können.
Investitionen sind aber kein Selbstzweck. Sie dienen der Nachhaltigkeit, der Verbesserung der kommunalen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, dem europäischen Zusammenhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Die Erhöhung von Investitionen kann in ihrer Arbeitsplatzwirkung wie folgt abgeschätzt werden: Beträgt der Impuls ca. 1 % wie oben beschrieben, ist je nach Konjunkturlage eine Ausweitung des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 % -2 % zu erwarten. Bei guter Konjunkturlage dürfte der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts eher im unteren Bereich liegen. Insofern ist mindestens ein Effekt von etwa 1,5 % zu erwarten. Bei unterausgelasteten Kapazitäten führt die höhere Nachfrage zu einer besseren Kapazitätsauslastung, wodurch die Arbeitsproduktivität steigt. Unterstellt man einen Produktivitätsanstieg von rund 1 % ergibt sich eine Ausweitung der Beschäftigung von 0,5 %. Auf die gesamte EU übertragen würde dies zu rund 1,2 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätze führen.
Mehr Wachstum und ein spürbarer Rückgang der Arbeitslosigkeit, vor allem in Ländern wie Spanien und Griechenland, aber auch Frankreich sind die beste Voraussetzung dafür, dass die Bürger Europa und den Euro nicht mehr nur als Flexibilitätszumutung erfahren, sondern als Motor eines „Wohlstands für alle“ und damit auch für politische Stabilität.
2. Schwerpunkt des Investitionsprogramms
Bei dem von uns vorgeschlagenen Investitionsprogramm geht es vor allem um folgende Zielsetzungen:
- die Förderung einer nachhaltigen wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere durch Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz,
- die Schaffung neuer Arbeitsplätze,
- die Stärkung des europäischen Zusammenhalts,
- die Überwindung der Spaltungen innerhalb der europäischen Gesellschaften und zwischen diesen
- spürbare und relativ schnell umsetzbare Verbesserungen für die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger.
Diese Ziele können vor allem durch Investitionen in den Bereichen der Bildung, des Wohnungsbaus, des Nahverkehrs, des Umweltschutzes, der Gesundheit, der Kultur und nicht zuletzt der öffentlichen Sicherheit erreicht werden. Das Investitionsprogramm soll sich daher auf den kommunalen Bereich konzentrieren. Zudem ist an den Ausbau der europäischen Verkehrsnetze zu denken. Bei all diesen Investitionen ist von einer gesamtwirtschaftlichen Rendite auszugehen, die deutlich höher ist als die aktuellen Zinsen für langfristige öffentliche Anleihen.
Mit seinem kommunalen Schwerpunkt bietet das Investitionsprogramm die Chance zu einer stärkeren Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit Europa durch Teilhabe an den Entscheidungsprozessen (Multi-Stakeholder-Governance). Die europäische Integration könnte so horizontal (d.h. in der Form der Kooperation zwischen den Gemeinden und Regionen) verstärkt werden. Die unfruchtbare Alternative zwischen Zentralisierung der Macht in Brüssel einerseits und Renationalisierung andererseits ließe sich konstruktiv überwinden.
Das erfordert einen vereinfachten Zugang zu EU-Programm-Finanzierungen, um auf diese Weise die Hürden für die Kommunen zu senken. Das gegenwärtige Finanzierungssystem für Gemeinden und Regionen durch Ausschreibung von Einzelprojekten ist abschreckend aufwändig. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass viele Gelder nicht abgerufen werden. Finanzierungsverfahren sollten deshalb aus der Perspektive der Gemeinden konzipiert werden. Entwicklungs- und Investitionsprojekte mit unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen sollten möglichst über ein standardisiertes und damit weniger kostspieliges „holistisches“ Verfahren beantragt werden können.
Zwar gibt es nationale und regionale Förderbanken, die sich als Berater und Umsetzer anbieten. Sie bewältigen den Aufwand für die Antragstellung, die Kofinanzierung und das Ausreichen der Finanzierung sowie der Berichterstattung und schaffen den jeweiligen Zuwendungsempfängern – im EU Sprachgebrauch ‚final beneficiaries‘ – einen vereinfachten Zugang zu EU-Mitteln. Kurzfristig sollen deshalb die Beratungs- und Bündelungsaktivitäten der Förderbanken verstärkt werden.
Mittelfristig aber muss es darum gehen, nicht nur besser und effizienter mit einem schwerfälligen und mit hohen Hürden ‚abgeschirmten‘ System umzugehen. Das System selbst muss offener und einfacher ausgestaltet werden, insbesondere für kommunale Anträge und solche, die aus Initiativgruppen der Zivilgesellschaft hervorgehen.
3. Finanzierung des Investitionsprogramms durch ein eigenständiges Budget der Eurozone
Damit das Investitionsprogramm schnell umgesetzt werden kann, soll es soweit wie möglich an vorhandene Finanzierungverfahren anknüpfen. Allerdings soll darüber hinaus mit einer verstärkt gemeinschaftlichen Finanzierung des Investitionsprogramms auch ganz bewusst ein Zeichen eines Neuanfangs gesetzt werden. Dazu sind vor allem in Deutschland schwierige kommunikative und psychologische Hürden zu überwinden. Es muss deutlich werden, dass eine Währungsunion mit unterschiedlich leistungsstarken Volkswirtschaften auf Dauer nicht ohne finanzielle Ausgleichsmechanismen überleben kann und dass ein solcher Ausgleich am Ende allen Europäern dient.
Zu Recht hat Sigmar Gabriel in einer Diskussion mit Jürgen Habermas und Emmanuel Macron in Berlin am 16. März 2017 darauf hingewiesen, dass Deutschland im Ergebnis vom Euro eindeutig profitiert und sich deshalb insbesondere als der Nettogewinner der EU verstehen soll. Deshalb warb er dafür, „im Bundestagswahlkampf erstmalig offensiv dafür einzutreten, dass wir bereit sind, mehr in Europa zu investieren als das vereinbarte ein Prozent am europäischen Bruttoinlandsprodukt. Wir sollten sogar bereit sein, das notfalls alleine zu stemmen oder mit anderen gemeinsam, ohne dass es gleich für alle in Europa gilt.“ Nur über die Provokation: ‚Wir sind bereit, mehr zu zahlen!‘ sei eine Debatte zu erreichen, warum alle ein gemeinsames Interesse an Europa haben müssten.
Ein neu zu schaffendes eigenständiges Budget für die Euro-Zone sollte deshalb zur Finanzierung des von uns vorgeschlagenen Investitionsprogramms herangezogen werden. Dies entspricht der Logik des gemeinsamen Währungsraums, der bisher ausschließlich auf die geldpolitische Integration gesetzt hat und deshalb dringend der Ergänzung um Elemente der fiskalpolitischen Integration bedarf. Eines der politischen Tabu-Themen dabei war in der Vergangenheit, dass die deutsche Regierung und die deutschen Europaparlamentarier die Teilnahme der gesamten EU an den Beratungen und der Verausgabung eines Budgets der Euro Zone umsetzen wollten – insbesondere, um Großbritannien entgegenzukommen. In einer Phase, in der Nationalisierungstendenzen nicht nur in Großbritannien dazu führen, dass Europa für alles „Böse“ herhalten muss und das Gute häufig wider besseres Wissen bestritten wird, macht es durchaus Sinn, ein Budget für die Euro-Zone zu schaffen, das Investitionen in den Ländern der Euro-Zone unterstützt.
Nach den europäischen Verträgen ist der Euro die Regelwährung der EU, einige Länder haben den Euro noch nicht eingeführt oder sich dauerhaft eine Zukunft ohne den Euro ausbedungen. Das ist aber die Ausnahme, nicht die Regel. Also macht es Sinn, dass über Investitionen aus diesem Budget in die Euro-Zone nur die Euro-Länder entscheiden.
Zur Umsetzung des Investitionsprogramms wäre an ein Volumen für das eigenständige Budget des Euroraums in Höhe von rund 30 Mrd. Euro pro Jahr zu denken. Für Deutschland würde das einen Beitrag von rund 9 Mrd. Euro jährlich bedeuten, was 0,3 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmachen würde. Das Budget sollte zwischen 5 und 10 Mrd. Euro pro Jahr für Qualifikationsmaßnahmen vorsehen, mit einem Schwerpunkt auf Jugendarbeitslosigkeit und die Beschäftigung von Jugendlichen in kommunalen Investitionsvorhaben sowie zwischen 20 und 25 Mrd. Euro pro Jahr für kommunale Investitionsvorhaben (insbesondere Schul- und Wohnungsbau, Nahverkehr, Krankenhäuser), die Stärkung des öffentlichen Dienstes, den Ausbau der Infrastruktur bei Wasser und Energie sowie für die Gestaltung des öffentlichen Raumes.
Eine Reihe dieser Investitionsvorhaben ermöglichen eine teilweise Eigenfinanzierung. So kann beispielsweise der öffentliche Nahverkehr mehr als die Hälfte seiner Kosten durch eigene Einnahmen erwirtschaften. Für diese Vorhaben sollte vorgesehen werden, dass die Eigenfinanzierungsanteile von den Kommunen für zukünftige Investitionsprojekte wieder investiert werden können. Somit können aus den EU Projekten weitere Investitionsprojekte erzeugt werden.
Das soll an einem Beispiel veranschaulicht werden: Die rasche Integration von allen Migranten-Gruppen (auch z.B. von Flüchtlingen) hängt u.a. an ihren Möglichkeiten, sich selbständig zu machen und eigene Unternehmen zu gründen. Solche Firmengründungen können mit öffentlichen Darlehen unterlegt und gefördert werden. Je nachdem, wie die Anteile von erfolgreichen und erfolglosen Darlehen ausfallen, ergeben sich höhere oder niedrigere Rückzahlungen. Im optimalen Fall bleibt der Fonds ungeschmälert und es können für einen zweiten, dritten oder vierten Durchgang erneut jeweils Darlehen für neue, andere Flüchtlings-Firmengründer ausgereicht werden.
Je nach Umfang der kommunalen Kofinanzierung fällt das Investitionsvolumen höher aus als das Budget selbst. Ein Anteil von 20-50 % an Kofinanzierung erscheint als realistisch. Unterstellt man im Durchschnitt einen Anteil von einem Drittel ergibt sich aus einem eigenständigen Budget von 30 Mrd. Euro ein Investitionsvolumen von 40 Mrd. Euro.
In den wirtschaftlich schwächsten Regionen sind die Kommunen jedoch häufig nicht in der Lage, die Kofinanzierung aus eigenen Mitteln aufzubringen. Für diese sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die Kofinanzierung z.B. mit Mitteln aus den Europäischen Strukturfonds aufzubringen.
4. Ein verlängerter und besserer Juncker-Plan
Das vom Volumen her größte Element der Investitionsinitiative wäre ein verbesserter und verlängerter Juncker-Plan. Er sollte so modifiziert werden, dass künftig ein größerer Teil der angeregten Investitionen in jenen Ländern umgesetzt wird, die derzeit unter besonderer Investitions- und Wachstumsschwäche leiden und in denen das Finanzierungsumfeld für Investitionen wegen hoher Länderbezogener Risikozuschläge besonders groß ist. Zudem sollten Investitionen stärker in Bereichen mit niedriger einzelwirtschaftlicher, aber hoher gesellschaftlicher Rendite gefördert werden.
Die Schwäche des Juncker-Plan war, dass er in den ersten drei Jahren das richtige Ziel ‚mehr Investitionen‘ dem Grunde nach zu erreichen versucht hat, ohne nennenswert Budget-Mittel einzusetzen. Deshalb setzte man auf Vorhaben mit sehr großer Hebelwirkung. Nach der Vorstellung der Architekten des Plans sollte mit sehr begrenzten öffentlichen Mitteln in Höhe von 21 Mrd. Euro Unterstützung das 15fache an privaten oder öffentlichen Investitionen ermöglicht werden.
Solche Hebel konnten allerdings nur bei Projekten mit sehr hoher Rendite erreicht werden. Zudem waren viele öffentliche Investitionsprojekte von der Finanzierung durch den Juncker-Plan ausgeschlossen, weil die öffentliche Hand in den Krisenstaaten keinen Verschuldungsspielraum hatte.
Bei Infrastrukturinvestitionen hatte der Juncker-Plan deshalb eine Schlagseite hin zu entweder privat finanzierten Projekten oder zu Projekten, die als PPP oder ÖPP (öffentlich private Partnerschaft) bezeichnet werden. Dabei sind die bisherigen Erfahrungen mit PPP/ÖPP-Projekten in den meisten Fällen negativ, weil Zukunftslasten und eine ungünstige Risikoteilung auf öffentliche Haushalte abgewälzt wurden.
Ein zweites Problem des Juncker-Plans ist darin zu sehen, dass ein großer Anteil der Finanzierung gerade in solche Länder geflossen ist, in denen (wie in Deutschland oder dem Vereinigten Königreich) kein Mangel an günstiger Marktfinanzierung herrschte.
Um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren, sollte eine Verlängerung des Juncker-Plans erweitert und auf zwei Bereiche fokussiert werden:
- auf Investitionen mit eher geringen Hebeleffekten, aber in gesellschaftlich wichtigen Bereichen wie Energieeinsparung, Energienetze, Energieeffizienz in Produktionsprozessen, kommunale Investitionen sowie Investitionen im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen,
- auf die Innovationsfinanzierung, bei der hohe Hebeleffekte zu erwarten sind.
Bereits in den Verhandlungen um den ersten Juncker-Plan hatte das Europäische Parlament die rein ökonomisch weniger profitablen, aber gesellschaftlich sinnvollen und wirtschaftlichen Investitionen im Blick. Der gefundene Kompromiss lautete, dass nationale und regionale Investitionsplattformen gegründet werden können, um Vorhaben wie Energieeffizienz zu finanzieren und dafür auch (einmalig) staatliche Mittel zur Verfügung stellen zu dürfen. Es ist möglich, das für einen verlängerten und besseren Juncker-Plan auszubauen.
Damit ein so erneuerter Plan eine schlagkräftige Komponente eines Investitionsprogramms darstellen kann, ist es wichtig, dass die Mitgliedsländer und das EU-Parlament einen Konsens erzielen, wonach die Budgetkomponenten prioritär in denjenigen Mitgliedsländern eingesetzt werden, in denen die größten Investitionsschwächen bestehen.
Finanziert werden könnte der verlängerte und verbesserte Juncker-Plan durch eine Ausweitung der Kreditvergabe der EIB, die mit gegebenem Eigenkapital das Kreditvolumen (von ihrem historisch vor der Finanzkrise bestehenden Basisniveau von 50 Mrd. € Darlehen im Jahr) um rund 30 Mrd. € ausweiten könnte. Allerdings wären dabei Budgetmittel von rund 8 Mrd. € pro Jahr notwendig, um den notwendigen Zuschussanteil und mögliche Kreditausfälle abzudecken.
Ein solcher veränderter Juncker-Plan würde zwar eine weit geringere Hebelwirkung als die ursprünglich angepeilten 15 erreichen, hätte dabei aber den Vorteil, wesentlich besser zielgerichtete Investitionen in Sektoren und Ländern zu tätigen, in denen solche einen besonders hohen gesellschaftlichen Nutzen hätten. Insgesamt wäre für diese Komponente des Investitionsplans mit einem Hebel von Kreditvergabe von etwas unter zwei und damit einem zusätzlichen Investitionsvolumen von 58 Mrd. € zu rechnen.
5. Mobilisierung der kommunalen Ebene für Integration und Entwicklung
Angesichts der Migration nach Europa befinden sich die Kommunen in ganz unterschiedlichen Situationen. Es kommt darauf an, den Kommunen, in denen die Bereitschaft da ist, die damit verbundene Herausforderung mit allen ihren Schwierigkeiten, aber auch Chancen anzunehmen, einen besseren finanziellen Rahmen zu verschaffen. Das gilt insbesondere für die Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsprozess, die Wertschöpfung, die Bildungsinstitutionen und die Gründung von Unternehmen.
Aus der Flüchtlingsintegration nach dem Zweiten Weltkrieg kann man in Deutschland die Lehre ziehen, dass die Gründung eigener Unternehmen für Flüchtlinge eine ganz besonders wichtige Voraussetzung für Integration und wirtschaftliches Gelingen der Integration darstellt. Das war über Jahrzehnte die Aufgabe der Förderbank DtA (Deutsche Ausgleichsbank, sie ging später in der KfW auf) und der regionalen Förderbanken. Auch die weltweiten Erfahrungen mit innerstaatlichen und überstaatlichen Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte haben auf diesen Sachverhalt hingewiesen.
Ein erster Schritt kann die Öffnung der laufenden europäischen Programme für solche kommunalen Ansätze sein. In Ländern, in denen es Förderbanken gibt (das werden immer mehr), können die Förderbanken beauftragt werden, bei der Antragstellung zu unterstützen, wo das nötig sein sollte. Praktisch alle Förderbanken sind in die Umsetzung der Programme für KMU (kleinere und mittlere Unternehmen) eingebunden, können also als natürliche Partner angesehen werden. Die Mitgliedsländer können zusätzlich Initiativen ergreifen, die es den Förderbanken erlauben, kleinere Projekte zu bündeln und gemeinsam über einen Sammel-Titel abzurechnen, wie es bei Vorhaben für KMU üblich ist. Auf europäischer Ebene kann dort, wo es keine Förderbanken gibt, das EU Beratungsprojekt für die Investitions- und Strukturfonds ‚JASPERS‘ einen zusätzlichen Auftrag erhalten, für solche Beratungen zur Verfügung zu stehen.
6. Ein befristeter Investitionsschub durch Darlehensaufnahme der EU Kommission
Die EU Kommission darf zur Verstärkung ihres Haushalts nur in wenigen Ausnahmen Darlehen aufnehmen. Das ist in der Vergangenheit aber durchaus schon geschehen uns zwar zur Stabilisierung der Wirtschaft in Mitgliedstaaten über den sogenannten EFSM. Der EFSM, ein Gemeinschaftsinstrument der EU (eingerichtet durch Verordnung 407/2010) steuerte 60 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt ab 2010 bei als einmalige befristete Aktion. Er wurde in der Finanzkrise zweimal aufgestockt durch gemeinsamen Beschluss der Mitgliedstaaten. Daran kann man anknüpfen, die Beschlüsse wurden seinerzeit von Deutschland mitgetragen. Eine befristete Kreditaufnahme der EU für vier Jahre von 10 Mrd. Euro p.a. kann Investitionen in gemeinschaftlicher Finanzierung ermöglichen außerhalb der nationalen Budgets und der nationalen Verschuldung. Es können kommunale Investitionsvorhaben – wie unter 4. für die Euro-Zone skizziert – verstärkt in der gesamten EU finanziert werden. Diese Fazilität für die gesamte EU würde also die Fazilität für die Euro-Zone ergänzen oder verstärken. Ein Teil kommt der Euro-Zone zugute, ein Teil den Nicht-Euro-Ländern.
7. Nationale Handlungsspielräume zum Weg aus der Krise erweitern – neue ‚goldene Regel‘
Bereits vor einigen Jahren hat der frühere EU Kommissar und italienische Ministerpräsident Mario Monti so etwas wie eine ‚goldene Regel‘ für die Euro-Zone gefordert, die eine staatliche Kreditaufnahme für Investitionen ermöglicht. Dies würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, zumindest für begrenzte Zeit zusätzliche Investitionen über Kredite zu finanzieren.
Angesichts der jahrelang vernachlässigten öffentlichen Investitionen schlagen wir vor, den Mitgliedsstaaten im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts über fünf Jahre hinweg jährlich einen entsprechenden Spielraum in Höhe von einem halben Prozent ihres nationalen BIP einzuräumen.
Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit Verbesserungen bei der Schätzung der strukturellen Defizite den Euro-Staaten mehr Spielraum zur Investitionsfinanzierung schaffen könnten. Einiges deutet so darauf hin, dass die Berechnungsverfahren nach Jahren eines extrem schwachen Wachstums zu einer systematischen Überschätzung dieser Defizite führen. So zeigen die Berechnungen derzeit für Italien an, dass sich die Wirtschaft nahe der Vollauslastung befindet, obwohl das Bruttoinlandsprodukt rund 5 Prozent unter dem Niveau von vor der Finanzkrise liegt. Das gesamte italienische Defizit wird deshalb als „strukturell“ betrachtet. Es muss daher nach den Regeln des Fiskalpaktes durch zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen pro Jahr um 0,5 Prozentpunkte reduziert werden. Es wäre deshalb angeraten, die Schätzverfahren zu überprüfen und soweit erforderlich zu korrigieren. Für Länder mit einer hohen Arbeitslosigkeit und langer Wachstumsschwäche könnte so im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts ein zusätzlicher Spielraum zur nationalen Kreditaufnahme für Investitionen geschaffen werden.
Die mit einer zeitweisen Einführung der „goldenen Regel“ geschaffenen Finanzierungsmöglichkeiten in Höhe von rund 50 Mrd. Euro werden wahrscheinlich nicht von allen Mitgliedstaaten in vollem Umfang genutzt. Dies dürfte insbesondere für Deutschland gelten. Wir unterstellen daher ein tatsächliches zusätzliches Investitionsvolumen von rund 35 Mrd. € pro Jahr.
Zentrales Ziel des Investitionsprogramms muss die Reduktion des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den Ländern des Zentrums und der Peripherie sein. Insbesondere gilt es, in den von der Krise besonders betroffenen Ländern und Regionen Produktionskapazitäten wieder aufzubauen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (wieder) zu stärken. Deshalb sollten die Mittel aus dem Investitionsprogramm mittels eines Indikatorensystems zu 75 Prozent in die wirtschaftlich schwächsten Länder und Regionen fließen, 25 Prozent sollten für die strukturschwachen Regionen der Länder des Zentrums zur Verfügung stehen.
Maßnahmen, die mit Mitteln aus diesem Investitionsprogramm finanziert werden, sollten – begrenzt auf die Laufzeit des Programms – von Regeln des Binnenmarktes wie z.B. den Vorschriften von staatlichen Beihilfen und vergaberechtlichen Bestimmungen ausgenommen werden. Damit soll die selektive Förderung einzelner öffentlicher oder privater Unternehmen ermöglicht und der (Wieder-)Aufbau von Produktionssystemen und Wertschöpfungsketten unterstützt werden. Diesem Ziel soll auch die Ermöglichung von „local content“ als Vergabebedingungen dienen.
8. Fazit und tabellarische Zusammenfassung
Unser Vorschlag wäre ein erster wichtiger Schritt, um dem gegenwärtigen gefährlichen Prozess der Desintegration der EU zu begegnen. Es kommt nicht darauf an, dass alle Maßnahmen genau in der beschriebenen Art und Weise verwirklicht werden. Es ist aber wichtig, die Alternative zum bisherigen Kurs sichtbar werden zu lassen und ausreichend auszustatten. Das ist möglich.
Die Vorschläge des neu gewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron für ein europäisches Investitionsprogramm und einen eigenen Haushalt der EU bieten die Chance für eine gemeinsame deutsch-französische Initiative. Unsere politische Verantwortung gebietet, diese Chance zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron schnell und beherzt zu ergreifen.
Die Finanzierungsübersicht lässt sich in Tabellenform darstellen:
Investitionsvolumen p.a. | Erforderliche Budgetmittel p.a. | Geschätzter deutscher Anteil p.a. | |
Verlängerter und verbesserter Juncker Plan | 58 Mrd p.a. (für 4 Jahre) | 8 Mrd. p.a. | Im EU HH enthalten |
Budget Euro-Zone | 40 Mrd. p.a. | 30 Mrd. p.a. | 7,5 Mrd. p.a. |
EU Kommission (Kredit für Investitionen in gesamter EU) | 13 Mrd. p.a. (für 4 Jahre) | 10 Mrd. p.a. | Vom EU HH zukünftig zurückzuzahlen |
Goldene Regel im Fiskalpakt für Mitgliedstaaten | bis zu 50 Mrd. p.a. (ohne Hebelwirkung, maximal 5 Jahre) | – (keine auf europäischer Ebene) | Deutschland wird davon vermutlich nicht Gebrauch machen |