Steglitz-Zehlendorf ist einer der Berliner Bezirke, in welchem bisher noch kein Milieuschutzgebiet ausgewiesen wurde. Doch auch hier gibt es mittlerweile Aufwertung und Verdrängung – Milieuschutz kann ein Mittel sein, diesem Prozess gegenzusteuern. 2015 wurde ein Grobscreening des Bezirks mit dem Ergebnis durchgeführt, dass es zwar Hinweise auf Verdrängung und Gentrifizierung gebe, jedoch kein Handlungsbedarf bestünde. Das Screening wurde scharf kritisiert – es sei u.a. zu grobmaschig und beruhe auf veraltetem Datenmaterial, ein Feinscreening sei nötig, um den tatsächlichen Stand und Bedarf herauszufinden. Ende 2017 hat deshalb die Bürgerinitiative „MieterInnen Südwest“ einen Einwohnerantrag bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf eingereicht und für drei Gebiete vertiefende Voruntersuchungen zur Ausweisung von Milieuschutzgebieten gefordert. Der Antrag wurde im Januar in der BVV beschlossen, allerdings mit einer Änderung: Das Screening soll nur durchgeführt werden, wenn dies Dritte bezahlen und dem Bezirk keine Kosten für alle Untersuchungen und weitere Folgen entstehen.
Milieuschutz ist Angelegenheit der Bezirke. Ist ein Milieuschutzgebiet ausgewiesen, prüft der Bezirk eingehende Bau-, Modernisierungs- und Sanierungsanträge hinsichtlich ihrer Angemessenheit. Es dürfen u.a. keine „Luxussanierungen“ wie z.B. der Einbau einer teuren Fußbodenheizung durchgeführt werden, welche zu hohen Mietsteigerungen und damit sozialer Verdrängung führen würden. Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird kritisch geprüft. In letzter Instanz haben die Bezirke in Milieuschutzgebieten die Möglichkeit, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und so dem Kauf und der Luxussanierung von Häusern durch Investoren vorzubeugen. Das Vorkaufsrecht wird von Bezirken zugunsten Dritter ausgeübt, die Immobilien werden für z.B. Stiftungen oder Genossenschaften gekauft, dies soll durch die Mieteinnahmen refinanziert werden. Bei Differenzen im Kaufbetrag stehen allen Bezirken Mittel des Senats zur Verfügung, um diese Lücken zu schließen, sofern sie nicht über genug eigene Mittel verfügen.
Am 20. Februar veranstalteten die Kreisverbände der Linken, der Grünen und der SPD Steglitz-Zehlendorf eine Podiumsdiskussion „Milieuschutz in Steglitz-Zehlendorf? – Was können wir von anderen Bezirken lernen?“ Zu Gast waren Jochen Biedermann (Bezirksstadtrat in Neukölln, Bündnis 90 / Die Grünen), Barbara von Boroviczeny (Initiative Mieter*innen Südwest), Sigmar Gude (Geschäftsführer Topos GbR), Michail Nelken (MdA, Die LINKE), Katrin Schmidberger (MdA, Bündnis 90/Die Grünen) und Matthias Kollatz-Ahnen, MdA für Steglitz-Südende, die Moderation übernahm Thomas Loy vom Tagesspiegel.
Steglitz-Zehlendorf gelte zwar als reicher Bezirk, auch hier gebe es jedoch Gebiete, wo z.B. Wohnsiedlungen aus der Weimarer Republik durch den Verkauf an Privatinvestoren verloren zu gehen drohten, Luxussanierungen vernichteten auch hier die soziale Nutzung so Barbara von Boroviczeny zu Beginn der Diskussion. Die Änderung ihres Einwohnerantrags sei durch Ablehnung der Kostenübernahme eine Ablehnung des gesamten Antrags. Man sei im Bezirk nicht bereit, den Willen zu zeigen, die mietende Bevölkerung zu schützen.
Sigmar Gude, Experte bei der Erstellung von Sozialstudien, wie sie für den Milieuschutz benötigt werden, ergänzt, dass es in der Tat im Bezirk deutliche Hinweise auf Aufwertung und Verdrängung gebe. Zu grobmaschig durchgeführte Studien würden dazu führen, dass sich schützenswerte und nicht schutzbedürftige Gebiete ausgleichen und der tatsächliche Bedarf nicht deutlich werde. Das 2015 genutzte Gutachten sei für den Bezirk nicht ausreichend, es mache Sinn, das Feinscreening durchzuführen. Milieuschutz eigne sich in jedem Fall auch für reichere Bezirke – auch hier gebe es schützenswerten Wohnraum und der Schutz sei zudem günstiger als der Neubau von Sozialwohnungen.
Moderator Thomas Loy hakt nach: Es sei somit wichtig, die vertiefende Voruntersuchung (Kosten ca. 40.000 Euro) für den Bezirk in Auftrag zu geben. Da der Bezirk dies jedoch nicht aus eigenen Mitteln bezahlen wolle, könnte hier der Senat einspringen, z.B. mit Mitteln aus dem SIWA-Sonderdepot für Wohnungsankäufe? Matthias Kollatz-Ahnen erläutert die Nutzung dieses Sonderdepots: Dieses wäre ursprünglich für größere Portfoliokäufe gedacht gewesen, z.B. dem Ankauf von Wohnungen des Bundes (BIMA). Hier könnten jedoch auch bei Bedarf alle Bezirke Gelder abschöpfen, wenn es z.B. um das Schließen der Lücken beim Ausüben des Vorkaufsrechts ginge. Milieuschutz sei zudem Bezirksangelegenheit, der Senat hier demnach nicht zuständig, springe jedoch ein, wenn die Mittel fehlen. Die Bezirke stünden jedoch finanziell insgesamt gut da, hätten zusätzliche Gelder über den Nachtragshaushalt erhalten und Überschüsse von über 100 Millionen Euro erzielt. Wie das Geld in den Bezirken eingesetzt werde, liege in deren Hand, dies sei eine Sache der Prioritätensetzung, so Kollatz-Ahnen. Derzeit seien die Jahresabschlüsse für die Bezirke in Arbeit, im Vorjahr hätte Steglitz-Zehlendorf die Studie problemlos bezahlen können, dies sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in 2017 der Fall1. Es mangele dem Bezirk nicht an Geld, es sehe eher so aus, als würde der politische Wille fehlen, Milieuschutzgebiete auszuweisen.
Katrin Schmidberger hält dagegen, dass der Senat durchaus bereits entsprechende Studien finanziert habe. Es sei wichtig, heute zu dem Ziel zu kommen, die Studie für Steglitz-Zehlendorf in Auftrag zu geben. Sie ergänzt, dass Milieuschutz nicht bei energetischer Sanierung greife, es gebe jedoch aktuelle Studien, die nachweisen würden, dass der Aufwand bei den Sanierungen in keinem Verhältnis zur Energieeinsparung stünde, hier gebe es bundesrechtlichen Bedarf zur Nachbesserung. Sie regt an, bei der Finanzierung der Studie ggf. kreativ durch Umverteilung von Mitteln vorzugehen – sei die Studie erst einmal erstellt, könne sich auch die Steglitzer CDU dem Milieuschutz nicht mehr verschließen. In Friedrichshain-Kreuzberg würden die Zahlen zeigen, dass Milieuschutz greife, z.B. seien im Boxhagener Kiez, welcher unter Milieuschutz steht, die Mieten geringer angestiegen als in angrenzenden vergleichbaren Gebieten.
Michail Nelken erzählt aus der Praxis im Bezirk Pankow, wo man bereits seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit Milieuschutzgebieten macht. Man habe dort teure Luxussanierungen eindämmen und das Milieu vor großer Verdrängung schützen können. Auch wenn die Gebiete mittlerweile stark aufgewertet seien, dies wäre ohne Milieuschutz noch gravierender ausgefallen. Eine Fluktuation und damit ein Austausch der Bevölkerung finde immer statt, Milieuschutz könne unterstützen, sei jedoch natürlich kein Allheilmittel. Milieuschutz wirke dämpfend auf Mietsteigerungen, nötige Sanierungen müssten dennoch durchgeführt werden – auch moderate Mieterhöhungen seien für einige Mieter mit geringen Einkommen bereits zu viel.
Jochen Biedermann aus Neukölln bestätigt diese Erkenntnisse – auch in seinem Bezirk hat man gute Erfahrungen mit Milieuschutz gemacht, auch wenn es leider Regelungen im Bundesgesetz gibt, mit denen der Milieuschutz indirekt ausgehebelt werden kann. Dies sei z.B. bei der Umwandlungsverbotsverordnung der Fall: In Milieuschutzgebieten darf keine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen durchgeführt werden, das Bundesrecht gestattet eine Ausnahme: Die Umwandlung von Eigentum wird genehmigt, wenn der Eigentümer sich verpflichtet, in den ersten 7 Jahren nur an Mieter zu verkaufen. Hier komme es dazu, dass Altmieter mit Abfindungszahlungen aus den Wohnungen „herausgekauft“ würden und die Verkäufe an Dritte über Scheinmietverträge doch zustande kämen. Probleme gebe es auch damit, bei Baumaßnahmen einzugreifen, welche ohne Genehmigungen begonnen wurden.
Die Anmerkung der Steglitz-Zehlendorfer CDU aus dem Publikum, dass Milieuschutz zur Ghettoisierung beitragen würde, verneinen die Anwesenden: Das Gegenteil sei der Fall, ohne Milieuschutz würden sozial Schwache zunehmend in Randgebiete verdrängt. Gerne sei man bereit, eine Rundfahrt durch bestehende Milieuschutzgebiete z.B. in Pankow durchzuführen, um Ängste und Vorurteile zu nehmen.
Das Fazit von Matthias Kollatz-Ahnen am Ende der Diskussion: Es geht mehr, als in Steglitz-Zehlendorf aktuell gemacht wird, es geht vor allem um den fehlenden Willen.
Auf dem Foto sind zu sehen: V.l.n.r: B. von Boroviczeny, T. Loy, M. Kollatz-Ahnen, K. Schmidberger, S. Gude
1 Am 21.03.2018 wurden die Jahresabschlüsse der Berliner Bezirke veröffentlicht. Hier finden Sie die entsprechende Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Finanzen.