Matthias Kollatz
Geschichte

Geschichte

„Die Rauhen Berge“: Die Anfänge

Ein Überbleibsel der Villenzeit: die Grabertstraße 4.

Die Anfänge des Gebiets um Südende klingen eher nach „Herr der Ringe“ als nach Berlin. Auf Karten war das teilweise hügelige und noch unbebaute Gebiet als „Die Rauhen Berge“ verzeichnet. Den Steglitzer Damm gab es aber bereits, wenn auch als Landweg von Steglitz nach Mariendorf.


Die Bebauung begann mit einem Privatinvestor. Das Gelände gehörte noch bis 1872 zwei Bauern. Am 26. August 1872 wurde es an die Terrain-Gesellschaft Südende, einem Konsortium aus Bank und Bahn, verkauft. Die Höhe des Kapitals betrug ganze 800.000 Taler. Das war das Ende der unbebauten Rauhen Berge, das Gelände von knapp 88 Hektar wurde in 427 Grundstücke parzelliert und die Villen- und Landhauskolonie Südende entstand als Villenvorort im Landhausstil. Heute erinnert an die Zeit durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wenig. Weiterverkauft wurde das ganze Gelände dann schon 1874 an Herrn Christiani, der eine neue Terraingesellschaft gründete. Gut ging das nur bis zur großen Gründerkrise, im Jahr 1878 erlosch die Verantwortung der Terrain-AG für Südende.

Im Kaiserreich und Republik

Platz gab es zu der Zeit noch genug, auch für Hochtechnologie: Am Oehlertring unternahm 1892 der Flugpionier Otto Lilienthal seine ersten Flugversuche.

Mietshäuser kamen dann nach 1900 nach Südende. Es entstanden mehr und mehr dreigeschössige Mietshäuser, ab 1930 entstand die Siedlung um den Langensteiner Weg. Nennenswerte Fabriken gab es nicht mit einer Ausnahme: die Parfümfabrik Scherk. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz und wird vom Institut für Pharmazie der FU Berlin genutzt.

Der Stadtteil Steglitz war in der Weimarer Republik eine Hochburg der Rechten und später der Nationalsozialisten. Das scheint für Südende insbesondere gegolten zu haben. Hier, in der sehr bürgerlichen Villengegend, hatte die NSDAP bei den Wahlen von 1932 41% eingefahren, berlinweit waren es 26%. Die Einrichtungen des NS-Unrechtsstaats fanden sich auch in der Nähe. So lag zum Beispiel das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt ganz nahe: Unter den Eichen 135.

Verwüstungen im Zweiten Weltkrieg

Erinnerungsort: die Spiegelwand am Hermann-Ehlers-Platz

Neben den geistigen Verwüstungen der Nazizeit wurden im Zweiten Weltkrieg auch die Bewohner des Kiezes Südende und die Bebauung schwer getroffen. Vor allem bei einem schweren Angriff in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1943 zerstörte ein britischer Bomberverband den Kiez zu großen Teilen. Noch heute kann man die mit Nachkriegsbauten gefüllten Lücken dieser Bombennacht sehen. Dabei handelte es sich um ein sehr tragisches Versehen. Das Ziel war das Regierungsviertel in Mitte, aber durch starkes Feuer der deutschen Flugabwehr hatte der Bomberverband die Orientierung verloren und seine 2.000 t. tödliche Fracht auf unseren Kiez abgeworfen.

Der Bombennacht zum Opfer gefallen ist auch das in ganz Berlin bekannte PaReSü, das Park Restaurant Südende. Zwischen den beiden Weltkriegen war es das zweitgrößte Ausflugslokal Berlins mit rund 2.000 Plätzen, 18 Bahnen zum Kegeln und zwei großer Tanz- und Sitzungssäle. Am Hambuttenpfuhl gab es für Wasserfreunde einen Ruderbootverleih und eine Badeanstalt. Ein Nachbau des Cafés konnte sich nicht halten. Seit 2009 steht an dieser Stelle der Lidl-Markt.

Südende nach Kriegsende

Übrig blieb, was die Berliner Morgenpost noch 1957 als „ödes Trümmerfeld“ bezeichnet hat. Als viele andere Teile West-Berlins durch Sonderbauprogramme wieder aufgebaut waren, hatte sich in Südende vergleichsweise wenig getan. Zwischen den übrig gebliebenen Häusern fanden sich Brachen oder auch noch Trümmergrundstücke. Neue Häuser wuchsen nur an einzelnen Stellen empor.

Viel von der ehemaligen Villenbebauung war nicht geblieben. Nur die spätklassizistische Villa in der Grabertstraße 4 erinnert an die Anfangszeit unseres Kiezes. Erbaut wurde sie 1873 von dem Bankier Eduard Mamroth. Den Krieg überstanden haben auch die dreigeschossigen Häuser der „Rauchlosen Siedlung“ am Steglitzer Damm 13-45. Schornsteine sucht man da vergeblich. Ganz modern werden sie bis heute mit Fernwärme aus dem Netz der Stadt versorgt. Geplant wurde die Siedlung von den Architekten Paul Mebes, Paul Emmerich und Heinrich Straumer, erbaut hat sie die Gemeinnützige Bau- und Siedlungs-AG „Heimat“ 1931/32.

Steglitz-Südende, wie wir es kennen

Für Steglitz-Südende ging es dann in den 1960er wieder aufwärts. Große Teile des Kiezes wurden neu bebaut. Inzwischen war man in der Stadtplanung auch dazu übergegangen, mehr Platz für Grünflächen und Spielplätze freizuhalten. Genauso forderte der gestiegene Autoverkehr mehr Platz in der Stadt. Um die erhöhte Nachfrage nach Wohnungen in der Stadt schnell und mit niedrigen Mieten zu befriedigen, baute man preisgünstig.

Über die ehemaligen Grundstücksgrenzen, die für Villen gedacht waren, baute man drei- und viergeschossige Häuserriegel mit viel Platz für die inzwischen geforderten Grünflächen, Parkplätze und Spielplätze dazwischen. Dadurch entstand das Stadtbild von Südende, wie wir es heute kennen und lieben.

Persönlichkeiten

Rosa Luxemburg 1915. Bundesarchiv 183-14077-006 CC-BY-SA

Aufgrund des Charakters als Villenkolonie finden sich einige prominente frühere Bewohner. Unter anderem lebten in Südende Rosa Luxemburg, Komponist Arnold Schönberg, die Maler George Grosz und Wassily Kandinsky, der Theologe und Schriftsteller Jochen Klepper, der Widerstandskämpfer Adolf Reichwein, die Architekten Otto Rudolf Salvisberg und Alfred Grenander, der Nationalsozialist Reinhard Heydrich und der Chef der deutschen Abwehr, Wilhelm Canaris. Aktuell wohnen dort zum Beispiel Jan Josef Liefers und Anna Loos.

Wie sehr sich der Charakter des Kiezes gewandelt hat, kann man erahnen, wenn man die Schilderungen über Rosa Luxemburgs Leben in Südende liest.

Die Wohnung in der Lindenstraße war ihr letztes Domizil und während ihrer Gefängnisjahre ein Ort der Sehnsucht, nach dem Sommer im Südender Feld, dem Sammeln seltener Pflanzen für ihr Herbarium; dabei den Pflanzen und Tieren näher als den Menschen. Manchmal von Mimi begleitet, der Katze mit Vergangenheit, die Herrn Lenin so beeindruckt habe, dass er sie mit stattlichen Katzen in Sibirien verglich. Mimi, mit der man im Schatten der Bäume verweilen konnte, und die von Zeit zu Zeit einen Kuss verpasst bekam, falls sie nicht in einem Haferfeld kätzisch die Suchrufe ignorierte… Ein stiller Schreibtischtag in Südende, an dem Rosa L. an ‚Die Akkumalation des Kapitals‘ arbeitete und ihr gegenüber Mimi auf dem Plüschsessel schnurrte. Ein beglückender Tag, den sie wie vieles brieflich ausmalte. Die weiße, blühende Hyazinthe. Das Kristallprisma, ein Briefbeschwerer, auf dem Tisch in der Sonne. „… davon zerstoben Dutzende Regenbogenspritzer auf alle Wände und Decke, und es war so bunt und heiter im Zimmer.“

Kaiser, Ingeborg (2015): Ich fürchte mich jetzt vor gar nichts mehr: Ein literarisches Porträt von Rosa Luxemburg. Book on Demands: Norderstedt.